Emotionale Überforderung und psychische Erkrankung im Arbeitsumfeld – ein neues Online-Seminar

Der Arbeitsausfall wegen Depressionen, Belastungsreaktionen und Ängsten hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Erzieher, Sozialpädagogen, Theologinnen und Fachkräfte in der Altenpflege sind besonders belastet. Über alle Berufsgruppen hinweg lag das Niveau um 52 Prozent über dem von vor zehn Jahren. Heißt es im DAK-Psychreport 2024* Wir sprachen mit der Dozentin Ulrike Wachter über das neue Seminar "Emotionale Überforderung und psychische Erkrankung im Arbeitsumfeld".

PAS: Dort, wo sich Menschen in ihrem beruflichen Alltag um das Wohlbefinden anderer kümmern und zudem noch Personalmangel herrscht, sind die Belastungen besonders hoch. Erklärt das, Ihrer Meinung nach, diesen Höchststand?

UW: Ja, auf alle Fälle! Die Person, die im Sozialbereich/Gesundheitsbereich arbeitet, ist ihr eigenes Werkzeug, da sie über Empathie, Feingefühl mit den Menschen auf der Beziehungsebene arbeitet. Man könnte sagen, dass durch die schwierigen Arbeitsbedingungen, wie Personalmangel, schlechte Bezahlung, Zeitdruck das „Werkzeug“ nicht mehr gut gepflegt werden kann. Außerdem entspricht dann die Möglichkeit der Arbeitsausführung eventuell nicht mehr dem inneren eigenen Wertesystem, was auf die Dauer unzufrieden macht und den Stress erhöht.

Die Arbeit im Sozialbereich bedeutet meist: eine hohe Identifikation mit der Arbeit, emotionale Arbeit, die auf der Beziehungsebene abläuft. Oft gibt es die Konfrontation mit Grenzsituationen oder eventuell traumatische Erlebnisse. Die emotionale Belastung endet oft nicht nach Dienstschluss und die eigenen Gefühle bleiben mehrmals auf der Strecke, besonders wenn der Druck durch Personalmangel steigt. Stress ist der meist auslösende Faktor für psychische Überlastung und Erkrankung.

PAS: Was sind klare, aber auch versteckte Anzeichen, die auf eine emotionale Überforderung oder eine psychische Erkrankung von Mitarbeitenden hinweisen?

UW: Ich würde ein paar Stichworte nennen, die Indikatoren sein können: Schlafstörungen, Gedankenkreisen, Chronische Erschöpfung, Schmerzen, Innere Unruhe, Gereiztheit bis hin zur Aggressivität, Zynismus, Ängste, Lustlosigkeit, Innere Leere, Fremdheitsgefühl, Alpträume und erhöhter Konsum von Alkohol oder Tabletten.

PAS: Könnten Sie bitte beispielhaft einen hilfreichen Umgang mit einer betroffenen Person skizzieren und eine wenig zielführende Handhabe mit Betroffenen. Warum ist die (Selbst-)Reflexion der Leitungskraft so wichtig?

UW: Wichtig und hilfreich ist ein baldiges Ansprechen, Wertschätzung und Anteilnahme zeigen, Ich-Botschaften senden, das Gespräch vorbereiten, Unterstützung anbieten, Fragen nach dem Netzwerk stellen und nach der wirklichen, momentanen Leistungsfähigkeit.

Kontraproduktiv ist hingegen die eigene Wahrnehmung zu ignorieren und die Person unter Druck zu setzen. Man sollte keine zwischen Tür- und Angelgespräche, keine Diagnose stellen und nicht gleich direkt eine Psychotherapie empfehlen.

PAS: Warum ist die (Selbst-)Reflexion der Leitungskraft so wichtig?

UW: Die Leitungskraft ist besonders im Sozialbereich auf ihr Team angewiesen und ist auch die Person, die das Team mit stabilisieren oder schwächen kann. Und natürlich muss auch die Leitungskraft für sich und ihre psychische Gesundheit sorgen. Zudem kann ein gutes Team kann viel dazu beitragen, die Einzelnen zu stärken.

PAS: Gibt es einfache, simple Maßnahmen, um auslösende Faktoren zu beseitigen oder zumindest einzudämmen?

UW: Das mit den einfachen, simplen Maßnahmen ist in diesem Spannungsfeld so eine Sache. Das Wichtigste ist die Selbst-für-mich-Sorge: das Kennen der eigenen Stärken und Schwächen, das Wissen um die eigenen Grenzen, ein gesunder Umgang mit Stress. Außerdem ist es essenziell, eine beginnende Überforderung rechtzeitig zu erkennen, eine*n Ansprechpartner*innen zu suchen und offen zu sein für das Annehmen von Unterstützung.

Ganz praktisch gesprochen beispielsweise „Nein“-Sagen üben, Techniken kennen, um die „Arbeit“ nicht mit nach Hause zu nehmen, einen Arbeitsbeginn und ein Arbeitsende bewusst wahrnehmen, Pausen machen, eine Fehlerfreundlichkeit, Vertrauen darauf, dass es auch mal „Ohne mich“ geht und eine Möglichkeit suchen, dass meine Rechte als Arbeitnehmer*in gut vertreten sind.

PAS: Was kann präventiv getan werden, damit es im besten Fall gar nicht erst zu einer emotionalen Überforderung kommt?

UW: Wichtig wäre, ein offener Umgang mit dem Thema psychische Überlastung etc. Hilfreich ist eine Betriebliche Gesundheitsförderung, Wertschätzung der Mitarbeitenden und deren Arbeitsleistung, Transparenz und Klarheit, Supervision, ein möglichst großer Handlungs – und Entscheidungsspielraum. Außerdem eine soziale Unterstützung im Team und durch Vorgesetzte, die Möglichkeit, dass das ganze Team bei Maßnahmen mitwirkt.

Über die Dozentin Ulrike Wachter
Ulrike Wachter ist Diplom Sozialpädagogin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und verfügt über eine Traumatherapieausbildung. Sie hat viele Jahre Menschen mit verschiedensten psychischen Erkrankungen als Bezugsbetreuung begleitet. Seit einiger Zeit ist Ulrike Wachter als freiberufliche Dozentin tätig und gibt Seminare rund um die Themen psychische Gesundheit und psychische Erkrankung.

*DAK-Psychreport 2024
https://www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/psychreport-2024_57364

Emotionale Überforderung und psychische Erkrankung im Arbeitsumfeld
28.11.2024, 09:00 - 16:00, online

Kontakt und Beratung:
Katrin Vetrano, Bildungsmanagement Betriebliches Gesundheitsmanagement
Telefon 0711 286976-16 , Mobil 0157 77692793, vetrano@akademiesued.org

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