Queere Lebensrealitäten im Arbeitsalltag – Ein Gespräch mit Dozentin Felicia Rolletschke

Ob Pride Month* oder nicht, Queerness ist ein Thema, das immer relevanter wird. Aber: Was bedeutet es im beruflichen Alltag, queer zu sein? Sind wir als Gesellschaft wirklich schon so weit fortgeschritten, wie wir es meinen? Und: Was kann ich als Arbeitgeber tun, um ein wahrlich inklusives Arbeitsumfeld für meine Mitarbeitenden zu schaffen – und das langfristig und nicht nur diesen einen Monat?

Wir haben uns mit Felicia Rolletschke, freiberuflicher Workshopfacilitatorin, Queeraktivistin und Dozentin bei der PAS, unterhalten. Sie gibt uns Einblicke in ihre Erfahrungen als Arbeitnehmerin und in ihre Ansätze für ihr Seminar „Queere Lebensrealitäten im Arbeitsalltag - Kernelemente gelungener Inklusion“ bei der PAS.

PAS: Wie sind Sie dazu gekommen, Seminare zum Thema DEI (Diversity, Equity, Inclusion / Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion) zu geben?

FR: Am Anfang meines Studiums kam ich in den Genuss einer Ausbildung zur Workshopleiterin, die sich über die ersten 4 Jahre meines Studiums hingezogen hat. Damals noch mit einem Fokus auf Rhetorik und HR. 

Einige Jahre später habe ich angefangen, die Fähigkeiten aus dieser Ausbildung in einem sozialen Kontext einzusetzen. 

Zu diesem Zeitpunkt machte ich dann leider die unangenehme Erfahrung, dass eine neue Vorgesetzte in meinem Nebenjob nicht mit meiner Transgeschlechtlichkeit zurechtkam und mir kündigte - etwas, das ich sicher hätte anfechten können, aber meinem jüngeren Ich hat es hier an Ressourcen gefehlt, diesen Kampf zu führen. Stattdessen habe ich nach einem neuen Job gesucht, bis eine gute Freundin mir nahegelegt hat, doch meine Workshops zu einem Job zu machen.

Fünf Jahre später sind aus den gelegentlichen Workshops für Studierendengruppen, Seminare für Firmen, Museen und verschiedenste Einrichtungen geworden. Aus einem Hobby oder einem Interesse ist ein Job geworden, mit dem ich glücklicher nicht sein könnte. 

PAS: An wen richtet sich dieses Seminar? Wie überbrücken Sie die eventuellen Wissens- und Erfahrungslücken zwischen den Teilnehmenden?

FR: Das Seminar richtet sich vor allem an Personen mit wenig oder keinem Vorwissen - Menschen, die engagiert sind und denen es aber einfach an dem nötigen Fachwissen sowohl über die Thematik selbst als auch über die Implementierung im Alltag fehlt. 

Anstelle dabei konkrete Handlungsanweisungen in den Mittelpunkt des Seminars zu setzen, die eventuell Vorwissen voraussetzen, versuche ich dabei eher gemeinsam mit den Teilnehmenden Grundsätze herauszuarbeiten, die dann die Basis für eine Kompetenz zur eigenen Entscheidungsfindung liefern können. Diese wird dann nochmal an einigen Beispielen geübt. Mit dieser Herangehensweise hat das Überbrücken dieser Lücken bisher immer gut funktioniert.

PAS: Jetzt hat sich in den vergangenen Jahren einiges zur Sichtbarkeit und auch zur Repräsentation von queeren Menschen in der Öffentlichkeit und in den Medien getan. Sehen Sie, dass sich dieser Trend auch im Arbeitsumfeld durchzieht?  Inwiefern?

FR: Ja und Nein. Auf der einen Seite ist es wahr, dass queere Menschen immer sichtbarer werden in unserer Gesellschaft und damit natürlich auch an unseren Arbeitsplätzen. Doch Repräsentation kann sich immer noch schwer gestalten. Einen wirklich inklusiven Raum herzustellen ist nicht trivial und erfordert deutlich mehr als ein regenbogenfarbenes Logo jeden Juni. Um Repräsentation zu erreichen, müssen sowohl die Infrastruktur als auch die Kultur am Arbeitsplatz sich ändern - Prozesse, die für nicht-queere Personen nicht einfach anzusteuern sind. 

Die Bereitschaft, diese Prozesse vermehrt anzustoßen, ist allerdings sehr erfreulich und macht Hoffnung auf mehr Inklusion queerer Menschen im Arbeitsalltag.

PAS: Viele Menschen glauben ja, dass Politik am Arbeitsplatz nichts verloren hat. Fällt das Thema queere Lebensrealitäten für Sie unter „Politik“? Und wie begegnen Sie denjenigen, die solche Meinungen vertreten?

FR: Die meisten Dinge, die wir tun, sind politisch - ob wir wollen, dass sie es sind oder nicht.

Als queere Person offen und out zu existieren ist immer dann politisch, wenn es Bewegungen gibt, die versuchen, das zu verhindern. Solange es erzkonservative und rechte politische Kräfte gibt, die queere Menschen aus dem Alltag drängen wollen, werden wir immer für diesen Platz in der Mitte der Gesellschaft kämpfen müssen - ein Kampf, der sich je nach dem Ort und den eigenen Umständen sehr leicht oder auch nahezu unschaffbar anfühlen kann. Als Person, die selbst aus einem Job gedrängt wurde, weil meine Queerness als Hindernis und Nachteil gesehen wurde, verstehe ich, wie schwer dieser Kampf sein kann. Und ja - dieser Kampf ist politisch.

Wenn Personen nun davon sprechen, dass Politik nichts am Arbeitsplatz verloren hat, dann muss man in dieser Situation leider anerkennen, dass hinter dieser Aussage eben genau der Gedankengang steckt, der queere Personen aus der Arbeitswelt hinausdrängt. Das Bestreben, “unpolitisch” zu sein, ist hier nichts anderes als ein Festhalten an einem Status Quo, der explizit heterosexuell und cisgeschlechtlich** ist, oder zumindest der Wunsch, alle Dinge, die nicht heterosexuell und cisgeschlechtlich sind, unsichtbar zu machen und damit ihre Anwesenheit, wenn nicht real, zumindest optisch zu verhindern.

Im Endeffekt würden viele queere Menschen sich wünschen, dass ihre Existenz am Arbeitsplatz und in der breiteren Gesellschaft “unpolitisch” ist, aber noch sind wir da nicht. 

PAS: Wir führen dieses Interview zeitlich passend zum Pride Month, einen Monat in dem gefühlt jedes Unternehmen die Regenbogenflagge schwingt. Was sehen Sie als die Top 3 Dinge, die Unternehmen implementieren können, um einen ehrlich diversen, gleichberechtigten Raum für ihre Mitarbeiter*innen zu gestalten? (Außer, diesen Kurs zu besuchen, natürlich?)

FR: Die erste Sache ist definitiv, den Raum für die entsprechenden Gespräche erstmal zu öffnen. Also anzuerkennen, dass Gespräche rund um die Inklusion queerer Menschen notwendig sind und diese Gespräche zu führen. Das können Workshops und Seminare sein - klar - aber auch beispielsweise eine Key-Note einer queeren Person zu diesem Thema zentral in ein größeres Firmenevent zu packen, kann dorthin hilfreich sein.

Die zweite Sache ist dann, die eigene Struktur wirklich kritisch zu hinterfragen und zu beleuchten. Sich als Organisation sowohl selbst kritisch zu beleuchten als auch die Begutachtung durch externe Personen zuzulassen und damit Hürden aufzudecken, die für queere Personen im Arbeitsalltag existieren. Das kann etwas Triviales sein, wie beispielsweise eine strikte Geschlechterbinarität in internen Formularen oder der örtlichen Infrastruktur. Aber es kann auch etwas schwer Greifbares sein wie beispielsweise eine persistente Kultur von Mikroaggressionen gegen queere Menschen. Den Prozess zu beginnen, diese Hürden im eigenen Unternehmen zu finden, ist essenziell für die Inklusion queerer Personen in den Arbeitsalltag.

Und dann muss sich ein Unternehmen eben auch überzeugt hinter Maßnahmen stellen, die diese Probleme angehen können. Es muss Struktur schaffen und verbessern, um queere Mitarbeitende im Arbeitsalltag zu schützen, und es muss infrastrukturelle und bürokratische Hürden entschlossen angehen. Kurz - es muss die Inklusion queerer Menschen im Arbeitsalltag als ernsthafte Aufgabe anerkennen und nicht als Marketing-Element.

Wenn Ihr Interesse geweckt ist und Sie sich über Gleichberechtigung und Inklusion queerer Personen in Ihrer Organisation informieren möchten, schauen Sie bei Felicia Rolletschkes Seminar „Queere Lebensrealitäten im Arbeitsalltag - Kernelemente gelungener Inklusion“ bei der PAS vorbei.

Das Seminar setzt sich mit drei großen Themen auseinander:

  • Was ist Queerness? Was verstehen wir unter dem Akronym LGBTIQ* und welche Geschichte steckt dahinter?
  • Welchen Hürden begegnen queere Menschen im Arbeitsalltag? Was sind Probleme, die oft aufkommen?
  • Wie können wir diese Hürden überwinden? Was sind konkrete Schritte, um unseren Arbeitsalltag inklusiver für queere Menschen zu gestalten?

Das Seminar wird am 25. April 2024 von 14:00 - 18:00 Uhr online stattfinden.

Außerdem bieten wir mit Felicia Rolletschke am 17. April von 14:00 – 17:00 Uhr ein Online-Seminar zum Thema diskriminierungsarme Sprachräume schaffen an.

Sprache ist kein Zufall! – gemeinsam diskriminierungsarme Sprachräume schaffen“ behandelt vier zentrale Aspekte des Themenkomplexes diskriminierungskritischer Sprache:

  • Fluidität der deutschen Sprache: Zu welchem Grad ist unsere Sprache flexibel und wie kann sie sich verändern?
  • Macht durch Sprache: Wie die deutsche Sprache Machtverhältnisse und Normen impliziert.
  • Othering, Fremdbestimmung und Unsichtbarmachung: Wie diese drei Mechanismen diskriminierende Sprache erzeugen.
  • Wie wir diskriminierender Sprache begegnen können und welche Lösungsoptionen existieren.

Melden Sie sich jetzt an – wir freuen uns auf Sie!

*Pride Month ist jedes Jahr der gesamte Monat Juni. Dieser Monat ist der Feier von und dem Gedenken an Lesben, Schwule, bisexuellen, transgender und queeren Personen gewidmet.
** ”cisgeschlechtlich” ist das Gegenteil von “transgeschlechtlich” und bezeichnet alle Personen, deren Geschlechtsidentität mit der übereinstimmt, die ihnen bei Geburt zugewiesen wurde.

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